Vom Holster bis zur Sinnhaftigkeit – eine Reise durch die Polizeiausbildung

Die Ausbildung zur Polizistin oder zum Polizisten gliedert sich in drei Phasen. 2023 haben insgesamt 69 Frauen und Männer ihre Ausbildung entweder angefangen, fortgesetzt oder abgeschlossen. Sie alle setzen sich in ihrer jeweiligen Ausbildungsphase mit verschiedenen Herausforderungen, Fragen oder Erfolgen auseinander.

Teil 1: Die Übergabe – Startschuss

Obwohl ich nicht immer die erste Wahl sein werde – andere, zum Beispiel der Kugelschreiber, kommen vermutlich und hoffentlich vor mir zum Einsatz – habe ich die Ehre, immerhin heute die Nummer eins zu sein. Und das Beste daran ist, dass ich bis jetzt nicht irgendwo in einer dunklen Schachtel, sondern bequem in einem gepolsterten Köfferchen lag und für einige Stunden der unangefochtene Hingucker sein werde, sobald ich das Tageslicht erblicke. Denn heute, am 1. Oktober 2023, heisst es: “Hiermit übergebe ich Ihnen Ihre persönliche Dienstwaffe”. Ich werde hochgehoben und sehe über mir ein Gesicht mit ehrfürchtigem Blick, der sich langsam zu Stolz wandelt.

Der Kommandant der Kantonspolizei St.Gallen, Dr. Bruno Zanga, überreicht an diesem Tag den zukünftigen 30 Polizistinnen und Polizisten des Lehrgangs 2023/2025 in einer feierlichen Zeremonie im Pfalzkeller ihre persönlichen Dienstwaffen. Die neun Frauen und 21 Männer haben ein anspruchsvolles Auswahlverfahren hinter sich und werden in wenigen Tagen die zweijährige Ausbildung an der Polizeischule in Amriswil beginnen.

Was mich angeht, ich bleibe vorerst noch im Holster und gebe dem Kugelschreiber den Vorrang. Denn bevor ich in den ersten Schiesstrainings zum Einsatz komme, muss meine Trägerin oder mein Träger noch ein bisschen die Schulbank drücken.

Teil 2: Inpflichtnahme – Halbzeit

Die Dienstwaffen hatten ihre 15 minutes of fame – nun bin ich dran! Sogleich werde ich Bekanntschaft mit den Herren und Damen machen, die bereits etwas weiter sind. Die neun Aspirantinnen und elf Aspiranten des Lehrgangs 2022/2024 haben das erste Schuljahr bereits hinter sich und soeben die PEF (Polizeiliche Einsatzprüfung) bestanden und ihre Inpflichtnahme gefeiert. Damit ist die erste Ausbildungsphase abgeschlossen. Nun starten sie mit dem Praxisjahr und sind neu PiA’s (Polizist/-in in Ausbildung).

Praxisjahr bedeutet: “Verkehrsunfall zwischen zwei Autos. Niemand ist verletzt, aber die Verkehrssituation ist gefährlich”. Der Funk schrillt durch meinen Innenraum. Nun kann ich zeigen, was ich draufhabe. Der heutige PiA ist noch etwas unsicherer als die PiA von gestern, aber es ist auch sein erstes Mal. Apropos erstes Mal: Im Praxisjahr wird es noch viele erste Male geben. Nach unzähligen Prüfungen über Strafrecht, Verkehrsrecht oder Menschenrecht in der Schule erleben die 20 Männer und Frauen die Polizeiarbeit nun im Berufsalltag. Während dem ganzen Praxisjahr werden sie von ausgebildeten Praxisbegleiterinnen und -begleitern betreut. Am Ende dieser zweiten Ausbildungsphase im Jahr 2024 werden sie die Berufsprüfung zum Polizist oder zur Polizistin ablegen.

Bis dahin dauert es noch ein wenig. Heute bahne ich mir singend und blau leuchtend den Weg durch eine Autokolonne und bringe den PiA zuverlässig mit warmen Innentemperaturen zum Unfallort, bevor er das Martinshorn auf meinem Dach ausschaltet und sich mit dem Kugelschreiber an die Verkehrsunfallaufnahme macht.

Teil 3: Brevetierung – Am Ziel

Ich bin die letzte, aber die wichtigste Akteurin. Das behaupten alle von sich, aber bei mir ist es anders. Wenn ich am Schluss der zweijährigen Ausbildung zur Polizistin oder zum Polizisten anlässlich der Brevetierung übergeben werde, bin ich zwar unsichtbar, aber dennoch präsent. Ich bin der Grund für die 19 Polizistinnen und Polizisten, die soeben im Pfalzkeller St.Gallen offiziell in das Korps der Kantonspolizei St.Gallen aufgenommen wurden. Sie haben vor, während und nach der Ausbildung an mich gedacht, und sie werden es auch weiterhin tun. Das hoffe ich zumindest, denn ohne mich wird es schwierig. Sicherlich werde ich manchmal angezweifelt und stehe mal höher und mal tiefer im Kurs. Aber am Schluss werde ich mich durchsetzen können.

Während der Rede von Dr. Bruno Zanga werde ich mehrmals erwähnt. Ich erhalte zustimmendes Nicken, nicht nur von den frischgebackenen fünf Polizistinnen und 14 Polizisten, sondern auch von deren Angehörigen. Sie sind stolz darauf, dass ich den Weg zu ihren Freunden, Freundinnen, Töchtern, Söhnen, Frauen oder Männern gefunden habe. Ich bin: die Sinnhaftigkeit.