Aussergewöhnliche Präventionsmassnahme

«Was habe ich wohl verbrochen, dass ich Post von der Kantonspolizei erhalte?» Das haben sich Anfang Juli 2023 wohl viele Bürgerinnen und Bürger im Alter 60+ im Kanton St.Gallen gefragt. Die meisten von ihnen konnten beruhigt aufatmen: Sie waren Empfängerinnen und Empfänger einer aussergewöhnlichen Präventionsmassnahme der Kantonspolizei St.Gallen gegen Schockanrufe.

Alleine im Jahr 2023 bis zum Start der Versandaktion der Präventionsbriefe im Juni haben Betrüger bereits 440’000 Franken ergaunert. Im Jahr zuvor war es rund eine Million Franken. Dabei wählten die Betrüger mit Vorliebe potenzielle Opfer aus, die 60 Jahre alt oder älter waren. Diese versuchten sie telefonisch um ihr Vermögen zu betrügen, indem sie sich oft als vermeintliche Polizisten, Mitarbeitende von Staatsanwaltschaft und Strafverfolgungsbehörden oder der Kriminalpolizei ausgaben.

Die Masche

Eine nahestehende Person hatte einen Unfall, sitzt im Gefängnis und kommt nur gegen Kaution frei. Oder man habe bei Einbrechern die Adresse des Opfers gefunden und soll der Polizei zum eigenen Schutz Wertgegenstände oder Bargeld übergeben. Solche Geschichten tauchen immer wieder auf. Oftmals wiesen die Betrügerinnen und Betrüger ihre potenziellen Opfer auch an, ihre Wertgegenstände einem Kurier mitzugeben, der diese abholt. Die Täterschaft verlangte zudem oftmals, dass man mit niemandem über die Forderungen spricht und ohne Unterbruch am Telefon bleibt. Oftmals wurde auch befohlen, wie man bei Nachfragen – beispielsweise durch Bankangestellte – zu reagieren habe.

Die Präventionsmassnahme

«Achtung Betrug!» Mit diesen Worten eröffneten die rund 100’000 Briefe die Ansprache an die Bevölkerung. Sie wurden an alle Bürgerinnen und Bürger im Kanton St.Gallen, die 60 Jahre oder älter waren, verschickt. Mit im Couvert war auch ein Flyer, der über die Betrugsmasche informierte und wichtige Präventionstipps im Umgang mit solchen Schockanrufen vermittelte.

Darauf war zu lesen:



Eine Welle der Dankbarkeit

Was auf den Versand der Briefe erfolgte, war nebst einem relativ grossen Medienecho eine unglaubliche Welle der Dankbarkeit von angeschriebenen Personen. Es gab unzählige Telefonate von Personen, die einfach nur «Danke» sagen wollten. Dann gab es Zuschriften, die von handgeschriebenen Briefen über Postkarten, mit Schreibmaschine verfasste Botschaften, bis hin zu Gedichtform oder E-Mails reichten. Auch ein ganzer selbst gebastelter Kalender war unter den Zusendungen dabei. Ganz wenige Einzelstimmen äusserten sich kritisch zu den Briefen oder einzelnen Textstellen.

Und die Kriminalitätszahlen?

Schockanrufe sind leider immer noch ein Teil der Realität. Die Täterschaft versucht nach wie vor an Geld und Wertgegenstände im Kanton St.Gallen zu gelangen.

Im ersten Halbjahr 2023 wurden der Kantonspolizei St.Gallen 342 Fälle von Telefonbetrug gemeldet. Davon hatte die Täterschaft in 16 Fällen Erfolg. Bis Ende November wurden mit 336 gemeldeten Fällen praktisch gleich viele Versuche gemeldet. Die Täterschaft konnte mit ihrer Masche vom falschen Polizisten jedoch nur noch ein einziges Mal überzeugen und sich an einem nichtsahnenden Opfer bereichern.

Die Täterschaften haben aber nicht etwa ihr Geschäft aufgegeben, sondern die Geschichte geändert. Sie operieren im Namen anderer Firmen (oftmals wurde Mediamarkt dafür missbraucht) oder sie liessen ein Tonband in englischer Sprache erklingen, woraufhin die Angerufenen aufgefordert wurden, über einen Tastendruck einen Rückruf zu tätigen (mehr zum Phänomen hier: Cybercrimepolice – Vorsicht bei Telefonanrufen mit Bandansagen). Auf diese Arten konnten die Betrüger acht weitere Erfolge für sich verbuchen.

Die Bilanz

Diese aussergewöhnliche Präventionsmassnahme kann als voller Erfolg bewertet werden, zumindest in Hinsicht auf die im Brief erwähnte Masche der Betrüger. Von Seiten der Kantonspolizei St.Gallen kann nur gehofft werden, dass die Präventionsbotschaft noch lange im kollektiven Gedächtnis bleibt und nicht verhallt. Aber bevor wieder hunderttausende oder gar Millionen von Franken ungewollt in die falschen Hände geraten, setzt der Freund und Helfer im Kanton St.Gallen dann lieber wieder einige Ü-60 Bürgerinnen und Bürger einem kurzen Schreckmoment mit einem offiziellen Brief der Polizei aus.