Profiling: Operative Fallanalyse

Der Täter ist zwischen 25 und 30 Jahre alt. In seiner Kindheit erlebte er Gewalt und war nicht sehr erfolgreich in der Schule. Zudem dürfte er ein Suchtproblem haben. So ähnlich werden Täterprofile in Kriminalserien oder Filmen präsentiert. Doch wie sieht die Arbeit eines Fallanalytikers oder einer Fallanalytikerin bei der Kantonspolizei St.Gallen aus? Welche Fragestellungen werden anhand einer Fallanalyse tatsächlich bearbeitet?

Fallanalytikerinnen und Fallanalytiker sind in Film und Literatur unter dem Begriff «Profiler» oder «Profilerinnen» bekannt. Geniale Ermittler, die fast ausschliesslich mit ihrer Kombinationsgabe und ihrem Vorstellungsvermögen das Denken der Täterschaft ergründen und dadurch aussergewöhnliche Verbrecher überführen. So zumindest lehrt es uns der Plot respektive die narrative Vermittlung in den Kriminalromanen und Fernsehserien. Die Wirklichkeit jedoch sieht anders aus.

In der realen polizeilichen Praxis ist das Vorgehen von Fallanalysierenden sehr strukturiert und folgt einem Prozess. Die Operative Fallanalyse (OFA) ist ein kriminalistisches Werkzeug, welches bei Tötungs- und sexuellen Gewaltdelikten sowie anderen geeigneten Fällen zur Anwendung kommen kann. Die OFA basiert auf der Grundlage objektiver Daten und möglichst umfassender Informationen zum Opfer. Dies mit dem Ziel, den Fall besser zu verstehen.

Die Analyse wird als Team durchgeführt. Bei Bedarf werden weitere Spezialistinnen und Spezialisten auf dem Gebiet der Rechtsmedizin und Psychologie hinzugezogen. Es wird versucht, die Entscheidungen, welche von der Täterschaft getroffen wurden, nachzuvollziehen.

Beim Analyseprozess, im Schema oben dargestellt, wird mit objektiven und gesicherten Falldaten gearbeitet. Nach Möglichkeit wird der Tatort vom OFA-Team besichtigt. Auf Basis dieser Informationen wird in einem nächsten Schritt der Ablauf der Tat rekonstruiert. Diese Tathergangs-Analyse erfolgt mittels Hypothesenbildung, in der die einzelnen Tatsequenzen zu einem chronologischen Tatablauf geordnet werden.

Diese Hypothesenbildung ist aber nur eine Annäherung an die Realität. Die banalsten Hypothesen sind übrigens oft die zutreffendsten. Solche Delikte sind selten bis ins kleinste Detail geplant und Menschen handeln vielfach nach dem “Prinzip des geringsten Aufwands”. Sie neigen dazu, mit möglichst wenig Aufwand den grösstmöglichen Erfolg zu erzielen, um ihr Bedürfnis zu befriedigen. Die Reise führt manchmal zu unwirklichen oder verstörenden Welten, die sich einem nicht erschliessen. Trotzdem sind Abgründe oder Genialität generell eher selten anzutreffen.

Als Nächstes wird das spezifische Täterverhalten herausgearbeitet und festgestellt, inwiefern dieses den jeweiligen Fall prägt. Eine wichtige Rolle spielen die situativen Faktoren, mit denen sich die Täterin oder der Täter bei der Tatausführung konfrontiert sieht und die im Zusammenspiel mit der eigenen Persönlichkeit den Handlungsablauf prägen. Nun kann der Fall als Ganzes charakterisiert werden. Man kann feststellen, ob es sich beispielsweise eher um eine geplante oder um eine spontane Tat handelt. Diese Charakterisierung ermöglicht es dem OFA-Team, Ermittlungshinweise zu generieren oder aufgrund der Bewertungen Ableitungen zum Täter oder zur Täterin zu treffen. Dies kann sich im geeigneten Fall in einem Täterprofil wiederspiegeln.

Resumée

Das Blickfeld der Fallanalytiker und Fallanalytikerinnen konzentriert sich auf das Verhalten der Täterschaft. Diese Verhaltensentschlüsselung kann gemeinsam mit der Täterprofil-Erstellung (Profiling) bei der Suche nach Verdächtigen helfen. Ziel ist es, den Fall beziehungsweise die Fallgestalt in der Gesamtheit zu erfassen und weitere Ermittlungsansätze zu erarbeiten.