
Grosses Kino
Oftmals wird die Polizeiarbeit so dargestellt, als sei sie «ganz grosses Kino». Oder zumindest suggerieren Filme, in denen die Polizei vorkommt oder gar Hauptprotagonistin ist, dass sich Actionszene an Actionszene reiht und ein Polizeikorps aus lauter Heldinnen und Helden – allesamt unbezwingbare Einzelkämpfer – besteht. Für den folgenden Bericht lassen wir das mal so stehen. Manchmal hat die Kantonspolizei St.Gallen nämlich tatsächlich ganz grosses Kino zu bieten.
Die Kantonspolizei St.Gallen hat ein umfassendes historisches Archiv. In diesem werden alte Uniformen, alte Waffen oder auch spezielle Gegenstände und Akten aus gewissen Fällen aufbewahrt – letztere nur, wenn sie aus speziellen Gründen nicht an das Staatsarchiv übergeben werden.
Hinter all diesen Gegenständen im Polizeiarchiv steckt Geschichte und noch mehr Geschichten. Und hier kommen auch Filme ins Spiel. Nebst in Büchern lassen sich Geschichten und die Geschichte selbst sehr gut in Bewegtbild erzählen. So kommt es, dass nicht selten Autorinnen und Autoren von Büchern aber auch Drehbüchern von Filmen bei der Abteilung Kommunikation der Kantonspolizei St.Gallen anklopfen. Sie alle sind dann jeweils auf der Suche nach Informationen oder Gegenständen aus dem Archiv. Leider können sehr aufwändige Recherchen nicht durchgeführt werden. Aber wenn eine Möglichkeit zur schnellen Hilfe besteht, wird diese gewährt.
In den vergangenen zwei Jahren haben sich durch Anfragen um Informationen aus dem Polizeiarchiv drei Projekte entwickelt, die fast schon einen Touch Hollywood haben – «ganz grosses Kino» eben.
Angefangen hat alles im April 2023. In einer Anfrage wurde um Informationen ersucht, ob es beim Landjägerkorps des Kantons St.Gallen (also der Vorgängerorganisation der heutigen Kantonspolizei St.Gallen) berittene Landjäger gab – Hintergrund für die Anfrage: Eine Filmproduktion zur Geschichte des Landesverräters Ernst Schrämmli. Die Recherchen verliefen ins Leere. Es scheint, als ob das Landjägerkorps nicht beritten war. Später gab es einen erneuten Kontakt mit den Filmschaffenden. Für die Nachbildung originalgetreuer Uniformen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs konnten aus dem Polizeiarchiv originale Uniform-Patten aus jener Zeit als Vorlage zur Verfügung gestellt werden.
Eine nächste Anfrage kam schon im August desselben Jahres von derselben Kostümfirma, betraf aber ein neues Filmprojekt, in dem St.Galler Landjäger vorkommen. Die Rede ist vom Film «Friedas Fall». In der Anfrage ging es um ein winziges Detail – die Farbe der Ziernähte an den Waffenröcken, die im Jahr 1903 von den Landjägern getragen wurde. Auch hier konnte das Polizeiarchiv Antworten liefern. Denn eine solche Uniform ist auch nach über 120 Jahren noch erhalten.
Der August 2023 hatte es in sich: Eine weitere Anfrage betraf den Säntismord, der sich 1922 zugetragen hatte. Die Abteilung Kommunikation wurde um diverse Recherchen in Bezug auf den Fall, die Tatwaffe und die Uniformen der damaligen Zeit ersucht. Auch einzelne Passagen des Drehbuchs wurden mit Polizeiwissen durchgelesen. Schliesslich wurde unter Einbezug des kantonalen Waffenbüros auch eine Leihgabe in Form einer mit der Mordwaffe identischen Waffe ermöglicht, samt allen rechtlichen Abklärungen und entsprechenden Schriftlichkeiten, die damit verbunden waren.
Einige Zeit blieb es ruhig mit Anfragen. Doch dann ergab sich eine einmalige Möglichkeit. Die Filmcrew, des damals noch «Die stillen Helden vom Säntis» genannten Projekts, fragte an, ob Vertretende der Kantonspolizei St.Gallen Interesse hätten, als Laien-Schauspieler an der Produktion mitzuwirken.
So kam es, dass im November 2023 der Leiter Kommunikation, Hanspeter Krüsi, und sein Stellvertreter, Florian Schneider, zusammen mit einem weiteren Polizisten der Kantonspolizei St.Gallen sowie dem Social-Media-Polizisten der Stadtpolizei St.Gallen, Roger Spirig, beim historischen Polizeiposten der Stadtpolizei St.Gallen in Waffenröcke der damaligen Zeit gekleidet wurden und für kurze Zeit zu Landjägern wurden. Wobei im Falle von Hanspeter Krüsi die Verwandlung präzisiert werden muss. Er wurde zum Detektiv der damaligen Zeit.
Was folgte, war ungewohnte Arbeit, die gemäss Bericht der Protagonisten strenger war als angenommen. Die Szene wurde wieder und wieder gedreht. Sei dies wegen Versprechern, weil eine andere Einstellung auch nochmals gefilmt werden musste oder ausgerechnet bei laufenden Kameras und laufendem Ton durch die alten Scheiben des historischen Polizeiposten das Dröhnen eines Lastwagens vom sensiblen Mikrofon aufgenommen wurde. Dabei war volle Konzentration der Laien-Schauspieler gefordert. An der genau gleichen Stelle musste der genau gleiche Gesichtsausdruck und die genau gleiche Bewegung gemacht werden. Sonst passten die einzelnen Perspektiven danach nicht mehr zusammen.
Nach dem aufregenden Drehtag wurde es Kino-technisch wieder still. Bis eine Einladung zur Vorpremiere ins Haus flatterte. Gespannt wurden die Szenen im Kinosessel, stilecht mit Popcorn oder Nachos in der Hand, verfolgt. «Ganz grosses Kino!»
Doch worum geht es in den Filmen? Was ist die Geschichte dahinter? Und welche Rolle hatte die Kantonspolizei St.Gallen, respektive das Landjägerkorps des Kantons St.Gallen, eigentlich damals? Wir klären auf:
Hölde – Die stillen Helden vom Säntis
Der Film «Hölde – Die stillen Helden vom Säntis» ist ein Dokudrama der Schweizer Regisseure Kuno Bont und Victor Rohner, das am 28. November 2024 in den Kinos der Deutschschweiz gestartet ist.
Der Film beleuchtet die Geschichte der Säntisträger, mutiger Männer, die zwischen 1879 und 1935 die Versorgung der höchstgelegenen Wetterstation Europas auf dem Säntis sicherstellten. Sie transportierten bei widrigsten Bedingungen Lebensmittel, Brennmaterial und andere lebensnotwendige Güter auf den 2502 Meter hohen Gipfel. Ihre Arbeit war gefährlich; viele von ihnen verloren durch Lawinen ihr Leben.
Der Film thematisiert auch die Herausforderungen der Wetterwarte, die das ganze Jahr über auf dem exponierten Berg lebten und arbeiteten. Ein düsteres Kapitel dieser Geschichte ist der Doppelmord an den Wetterwarten Heinrich und Magdalena Haas im Februar 1922.
Mit der Eröffnung der Säntis-Schwebebahn im Jahr 1935 änderten sich die Bedingungen auf dem Berg grundlegend, und die Ära der Säntisträger ging zu Ende. Der Film würdigt diese oft vergessenen Helden und gibt Einblicke in ihre Strapazen und Opfer. «Hölde – Die stillen Helden vom Säntis» ist eine Mischung aus Drama und Dokumentation, die historische Ereignisse mit nachgestellten Szenen und Interviews verbindet.
Der Säntismord
Der Säntismord vom 21. Februar 1922 zählt zu den aufsehenerregendsten Kriminalfällen der Schweizer Geschichte. An diesem Tag wurden der Wetterwart Heinrich Haas und seine Frau Magdalena auf dem Säntis ermordet. Der mutmassliche Täter, Gregor Anton Kreuzpointner, ein gebürtiger Bayer, hatte sich zuvor erfolglos um die Stelle des Wetterwarts beworben und hegte offenbar Groll gegen die Familie Haas.
Das Landjägerkorps des Kantons St.Gallen spielte bei der Aufklärung dieses Verbrechens eine zentrale Rolle. Nach dem Fund der Leichen durch Säntisträger am 25. Februar 1922 wurden umgehend polizeiliche Ermittlungen eingeleitet. Die Beamten sicherten Spuren am Tatort und nahmen die Ermittlungen auf, um den Täter zu identifizieren und zu fassen.
Trotz intensiver Fahndung konnte Kreuzpointner zunächst entkommen. Erst am 4. März 1922 wurde seine Leiche in einer Alphütte unterhalb der Schwägalp gefunden; er hatte Suizid begangen. Durch seinen Tod entzog er sich einem Strafverfahren, sodass der genaue Tathergang und seine Motive nie vollständig geklärt werden konnten. Die Ermittlungen des Landjägerkorps trugen jedoch wesentlich dazu bei, die Abläufe vor und nach der Tat zu rekonstruieren und die Identität des mutmasslichen Täters festzustellen. Der Fall erregte damals grosses Aufsehen und bleibt bis heute ein bedeutendes Kapitel in der Kriminalgeschichte der Schweiz.
Friedas Fall
«Friedas Fall» ist ein Schweizer Historiendrama unter der Regie von Maria Brendle, das auf wahren Begebenheiten basiert. Der Film erzählt die Geschichte der 25-jährigen Näherin Frieda Keller, die 1904 in St. Gallen vor Gericht steht, weil sie beschuldigt wird, ihren unehelichen fünfjährigen Sohn getötet zu haben. Dieser Fall löst eine breite gesellschaftliche Debatte über Frauenrechte und Gerechtigkeit aus und führt zu Reformen im Schweizer Justizsystem.
Die Hauptrolle der Frieda Keller wird von der charismatischen Newcomerin Julia Buchmann verkörpert. An ihrer Seite spielen Max Simonischek als Verteidiger Arnold Janggen und Stefan Merki als Staatsanwalt Walter Gmür. Der Film beleuchtet nicht nur den Gerichtsprozess, sondern auch die persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, mit denen die Protagonistin konfrontiert ist.
“Friedas Fall” feierte seine Weltpremiere am 9. Oktober 2024 beim Zürich Film Festival und erhielt dort Standing Ovations. Der reguläre Kinostart in der Deutschschweiz ist für den 23. Januar 2025 geplant. Der Film thematisiert zentrale Fragen zu Gleichberechtigung und Gerechtigkeit und zeigt auf, wie Frieda Kellers Schicksal die Anfänge der politischen Gleichstellungs- und Frauenrechtsbewegung in der Schweiz prägte.
Der Fall der Frieda Keller
Frieda Keller (*24. Dezember 1879 in Bischofszell; †7. September 1942 in Münsterlingen) war eine Schweizer Schneiderin, die 1904 wegen des Mordes an ihrem unehelichen Sohn Ernst verurteilt wurde. Ihr Fall erregte grosses Aufsehen und führte zu Diskussionen über die gesellschaftliche Stellung der Frau und das Strafrecht in der Schweiz.
Hintergrund und Tat
Frieda Keller wurde von ihrem Arbeitgeber, dem Wirt Karl Zimmerli, vergewaltigt und brachte Ende 1898 oder Anfang 1899 ihren Sohn Ernst zur Welt. Aus Scham und finanzieller Not brachte sie das Kind in der Kinderbewahranstalt “Tempelacker” in St. Gallen unter. Als die Anstalt das Kind nicht länger aufnehmen konnte und Frieda Keller in einer ausweglosen Situation war, tötete sie ihren fünfjährigen Sohn am 2. Mai 1904 im Hagenbuchwald bei St. Gallen, indem sie ihn mit einer Schnur erdrosselte.
Rolle der Landjäger
Nach dem Fund der Leiche am 7. Juni 1904 durch Wanderer im Hagenbuchwald leitete das Landjägerkorps des Kantons St.Gallen die Ermittlungen ein. Durch eine Zeitungsanzeige, in der die Kleidung des Kindes beschrieben wurde, konnten zwei Schwestern der Kinderbewahranstalt das Kind identifizieren. Frieda Keller wurde am 14. Juni 1904 verhaftet und gestand die Tat umgehend. Die Polizei sicherte Beweise und bereitete den Fall für die Anklage vor.
Gerichtsverfahren und Urteil
Am 12. November 1904 wurde Frieda Keller vom Kantonsgericht St.Gallen wegen Mordes zum Tode verurteilt. Das Urteil stiess auf breite Empörung, insbesondere bei Frauenorganisationen, da mildernde Umstände nicht berücksichtigt wurden. Am 24. November 1904 wurde sie vom Grossen Rat des Kantons St. Gallen begnadigt; das Todesurteil wurde in eine lebenslange Zuchthausstrafe in Einzelhaft umgewandelt.
Nachwirkungen
Frieda Keller verbrachte 15 Jahre in Haft und wurde 1919 entlassen. Ihr Fall führte zu einer Revision des Schweizer Strafgesetzbuches, um zwischen Totschlag und Mord zu unterscheiden und die Beweggründe des Täters stärker zu berücksichtigen.
Landesverräter
«Landesverräter» ist ein Schweizer Historiendrama unter der Regie von Michael Krummenacher, das die wahre Geschichte von Ernst Schrämli erzählt. Der Film feierte seine Premiere am 24. Oktober 2024 in den Schweizer Kinos.
Handlung
Während des Zweiten Weltkriegs träumt der mittellose Ernst Schrämli (Dimitri Krebs) in St. Gallen von einer Karriere als Sänger in Deutschland. In seiner Naivität lässt er sich von dem deutschen Agenten August Schmid (Fabian Hinrichs) dazu verleiten, Schweizer Militärgeheimnisse preiszugeben, darunter Skizzen von Artilleriestellungen und gestohlene Granaten. Als seine Spionagetätigkeit entdeckt wird, wird Schrämli verhaftet, vor Gericht gestellt und als erster Schweizer wegen Landesverrats zum Tode verurteilt.
Besetzung
- Dimitri Krebs als Ernst Schrämli
- Fabian Hinrichs als August Schmid
- Luna Wedler als Gerti Zanelli
- Stefan Gubser als Roman Graf
Kritiken
Der Film wurde für seine historische Genauigkeit und die Darstellung der ambivalenten Haltung der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs gelobt. Besonders hervorgehoben wurde die Leistung des Newcomers Dimitri Krebs in der Rolle des Ernst Schrämli. Allerdings wurde auch Kritik an der Inszenierung laut, insbesondere hinsichtlich der musikalischen Einlagen und der Charakterzeichnung.
Verfügbarkeit
«Landesverräter» ist seit dem 24. Oktober 2024 in den Schweizer Kinos zu sehen. Ein Heimkinostart ist in der Schweiz für den 19. Februar 2025 geplant.
Ernst Schrämmli
Ernst Schrämli (*8. September 1919 in St. Gallen; †10. November 1942 bei Oberuzwil) war ein Schweizer Soldat, der während des Zweiten Weltkriegs wegen Landesverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Er gilt als einer der wenigen in der Schweiz während dieser Zeit hingerichteten Landesverräter.
Hintergrund und Tat
Schrämli, der aus schwierigen familiären Verhältnissen stammte, träumte von einer Karriere als Sänger in Deutschland. In St. Gallen lernte er den deutschen Agenten August Schmid kennen, der ihn dazu brachte, militärische Informationen und Kriegsmaterial zu beschaffen. Schrämli stahl aus einem unbewachten Munitionsdepot der Armee vier Artilleriegranaten und eine Panzergranate und übergab sie Schmid. Zudem erstellte er Skizzen von Artillerie- und Bunkerstellungen, die jedoch als ungenau bewertet wurden.
Rolle des Landjägerkorps
Das Landjägerkorps des Kantons St.Gallen war massgeblich an der Aufdeckung von Schrämlis Aktivitäten beteiligt. Nach Hinweisen auf seine Spionagetätigkeit führten die Ermittlungen zur Verhaftung Schrämlis im Januar 1942. Die Polizei sicherte Beweise, darunter die gestohlenen Granaten und die angefertigten Skizzen, und bereitete den Fall für die Anklage vor. Die Zusammenarbeit zwischen den Landjägern und den Militärbehörden war entscheidend für die erfolgreiche Aufklärung des Falls.
Gerichtsverfahren und Hinrichtung
Schrämli wurde vor ein Militärgericht gestellt, des Landesverrats für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Nach Ablehnung seines Gnadengesuchs wurde das Urteil am 10. November 1942 in einem Wäldchen zwischen Oberuzwil und Jonschwil von einem Artillerie-Regiment der Armee unter Aufsicht des militärischen Grossrichters und von Offizieren vollstreckt.