Schweizweit erster polizeilicher Leistungsprüfstand
Die Kantonspolizei St.Gallen nimmt Ende Mai 2024 als schweizweit erstes Polizeikorps einen eigenen Leistungsprüfstand in Betrieb. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit im Kampf gegen unerlaubte Leistungssteigerungen, welche teils gefährliche Auswirkungen auf den Strassenverkehr haben können. Wie kam es dazu? Was sind die Überlegungen dahinter?
“Wieviel PS hät din Charre?” Diese oder ähnliche Fragen in Bezug auf die Leistung eines Fahrzeugs werden wohl in praktisch jeder Unterhaltung über fahrbare Untersätze gestellt. Leistungssteigerungen von Fahrzeugen sind im Trend. Ein paar PS mehr und eine bessere Beschleunigung lassen die Herzen von Autofahrenden höherschlagen. Nach Strassenverkehrsrecht sind aber Änderungen an der Leistung in jedem Fall melde- und prüfpflichtig. Bei einer Leistungssteigerung von 20% und mehr ist gar eine Eignungserklärung des Herstellers nötig, die bescheinigt, dass die Betriebssicherheit des Fahrzeugs noch gegeben ist.
Die Schwierigkeit liegt dabei nicht per se an der Steigerung der Leistung selber, sondern dass andere Fahrzeugkomponenten wie Fahrwerke und Bremsen von Werk nicht zwingend auf höhere Leistungen des Antriebs ausgelegt sind. Somit können sich Leistungssteigerungen massgeblich auf die Betriebssicherheit auswirken.
Das Projekt
Die Verkehrspolizei der Kantonspolizei St.Gallen hat bei technischen Fahrzeugkontrollen in der Vergangenheit vermehrt Verdachtsmomente auf Leistungssteigerungen festgestellt. Auch nach Verkehrsunfällen mit leistungsstarken Fahrzeugen kamen bei technischen Überprüfungen oftmals solche Verdachtsmomente auf, insbesondere wenn nicht abschliessend erklärbar war, warum das Unfallfahrzeug gewissen Verkehrsbedingungen nicht stand gehalten hat. Bislang hat jedoch eine Möglichkeit zur amtlichen Prüfung dieser Leistungssteigerungen gefehlt. In einem Projekt wurde deshalb abgeklärt, inwiefern ein eigener Leistungsprüfstand gewinnbringend und zu Gunsten der Verkehrssicherheit eingesetzt werden kann. Die Abklärungen haben ergeben, dass Leistungssteigerungen sehr weit verbreitet sein dürften und bislang aufgrund fehlender Überprüfungsmöglichkeiten unentdeckt blieben. Diese Tatsache und die Möglichkeit zur zusätzlichen Verwendung des Leistungsprüfstandes durch die Polizeigarage der Kantonspolizei St.Gallen, zur Überprüfung der Akkuleistungen der Elektrofahrzeugflotte, hat den Ausschlag für die Beschaffung eines eigenen Leistungsprüfstands gegeben.
In einem Gebäude des Nationalstrassenunterhalts konnte der Leistungsprüfstand an einer verkehrstechnisch ideal gelegenen Örtlichkeit im Osten der Stadt St.Gallen gebaut werden. Das Gesamtprojekt hat inklusive den notwendigen baulichen Massnahmen 170’000 Franken gekostet.
Das Herzstück – Der Leistungsprüfstand
Es handelt sich um einen Hochleistungs-Rollenprüfstand der Marke Bapro – Ein Gerät der neusten Generation, das nach heutigem Stand der Technik sämtliche Steuertechnik-Tricks handhaben kann und auf dem sowohl Verbrenner- wie auch Elektrofahrzeuge mit hohen Leistungen geprüft werden können. Die maximal messbare Leistung beträgt 2000 PS. Ein Doppelgebläse simuliert den Fahrtwind für die optimale Kühlung des Motors und damit neuere Fahrzeugelektroniken keinen Fehler melden, wenn bei hohen Geschwindigkeiten der Fahrtwind fehlt. Es sind Geschwindigkeiten bis 360 km/h möglich. Vierradantrieb, Vorderachsantrieb, Hinterachsantrieb – alle Arten von Antrieben können darauf einer Messung unterzogen werden.
Das Leistungsmesssystem des Prüfstandes wird jährlich durch den Hersteller kalibriert. In Sachen Geschwindigkeitsmessungen erfolgt die jährliche Zertifizierung durch das Bundesamt für Metrologie (METAS). Damit werden rechtlich verwertbare, amtliche Messungen ermöglicht.
Technische Verkehrskontrollen bekommen eine Komponente mehr
Die Kantonspolizei St.Gallen führt schon heute technische Verkehrskontrollen durch und ahndet dabei Verstösse gegen technische Vorschriften im Strassenverkehr, insbesondere solche mit Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit. Werden in künftigen technischen Verkehrskontrollen Indizien für eine Leistungssteigerung festgestellt, müssen die Verkehrsteilnehmenden mit der Sicherstellung ihres Fahrzeugs rechnen. Danach wird das Fahrzeug durch Fahrzeugtechniker der Abteilung Schwerverkehr / Spezialkontrollen der Verkehrspolizei auf dem Leistungsprüfstand einer Messung unterzogen. Anschliessend wird je nach Resultat der Messung über weitere Massnahmen oder Einleitung der Strafverfolgung entschieden. Die Prüfung eines Fahrzeugs hat im Falle einer festgestellten Leistungssteigerung Kosten gemäss kantonalem Gebührentarif zur Folge.
Eine technische Verkehrskontrolle in Zukunft
Ein Auto wird zur Kontrolle angehalten. Fahrzeugtechnik-Spezialisten überprüfen die technischen Komponenten des Autos. Dabei werden unter dem Fahrzeug das Fahrwerk und die Abgasanlage in Augenschein genommen, die Motorhaube wird geöffnet. Es wird überprüft, ob alle vorgenommenen technischen Änderungen entsprechend dokumentiert und zugelassen sind. Die Spezialisten finden klare Hinweise, dass die Leistung des Fahrzeugs gesteigert wurde. Etwas, das sich im Rahmen einer Strassenkontrolle nicht weiter überprüfen lässt. Das Fahrzeug wird sichergestellt.
Neuer Schauplatz – einige Zeit später. Die Fahrzeugtechnik-Spezialisten haben das Auto auf einem Fahrzeuglift. Sie überprüfen die Reifen und das Fahrwerk auf allfällige Beschädigungen oder gefährliche Komponenten. Auch die Betriebsflüssigkeiten werden überprüft. Nicht, dass beim nächsten Schritt etwas Gefährliches passiert oder ein Motor trocken läuft. Danach wird das Auto auf den Leistungsprüfstand gefahren und dort festgezurrt. Im System werden die Fahrzeugdaten befüllt, damit das System den bevorstehenden Prüfungsablauf berechnen kann. Danach wird das Fahrzeug im vom System vorgegebenen Getriebegang ab einer vorgegebenen Drehzahl bis zur Leistungsgrenze beschleunigt und nachher lässt man das Auto ausrollen. In der Zwischenzeit macht das System die Leistungsberechnung. Danach steht fest, in welchen Bereichen die Leistung angepasst wurde und nicht mehr dem Werkszustand entspricht. Im vorliegenden Fall beträgt die Leistungssteigerung gegenüber dem Originalzustand 25%. Damit ist das Auto nicht mehr betriebssicher und wird stillgelegt. Der Fahrzeughalter kann sein Auto erst wieder in Verkehr bringen, wenn eine Eignungserklärung des Herstellers vorliegt, welches die Betriebssicherheit des Fahrzeugs attestiert. Hinzu kommt eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft. Das Strassenverkehrsamt führt ein Administrativverfahren durch. Dies wiederum bedeutet mehrere hundert Franken Busse und Kosten sowie Ausweisentzug. Plus ein Auto, das nicht mehr gefahren werden darf. Für alle anderen Verkehrsteilnehmenden heisst das: Ein Sicherheitsrisiko weniger.