Ist nun die Zukunft erreicht?

Mit der Polizeiregion Werdenberg-Sarganserland wurde im Herbst 2021 das letzte Puzzleteil in das Gesamtkonstrukt «Kantonspolizei der Zukunft» gelegt. Was vor mehr als acht Jahren mit einem 18-seitigen Strategiepapier von Kommandant Bruno Zanga begann, konnte nun ad acta gelegt werden. Oder etwa doch nicht?

Zugegeben, inhaltlich gesehen ist die Fragestellung des Titels, ob nun die Zukunft erreicht sei, absurd. Bei der Zukunft handelt es sich schliesslich um jene Zeit, die noch bevorsteht. Doch nun, da das Projekt «Kantonspolizei der Zukunft» (KdZ) in allen Regionen abgeschlossen ist, stellt sich dennoch die Frage, ob die Kantonspolizei St.Gallen durch die Umstrukturierungen der letzten Jahre in der angestrebten Zeitform angekommen ist. Begeben wir uns auf Spurensuche!

Am 28. September 2021 wurde auf dem Gelände des Polizeistützpunkts Mels gefeiert. Die Mitarbeitenden der Polizeiregion Werdenberg-Sarganserland waren eingeladen, ebenso wie die Leitung der Regionalpolizei und Kommandant Bruno Zanga. Das KdZ-Projekt war nun auch in der letzten Region umgesetzt, die Gruppenleiter zu Feldweibeln befördert und die Würste auf den Grill gelegt.

«Wir werden das Rad nicht neu erfinden»! Mit diesen Worten eröffnete Ivan Nett, der damalige Leiter der Region, den offiziellen Teil des Anlasses. Er deutete damit bereits an, dass die KdZ-Umsetzung in den anderen Regionen bereits wertvolle Erkenntnisse hervorgerufen hat, welche auch im Oberland adaptiert werden können. Dennoch sei das neue System nicht starr und vor allem nicht in Stein gemeisselt. Anpassungen sollen auch in Zukunft möglich sein, so Nett. Er richtete aber zudem einen klaren Appell an die erste Führungsebene: «Nehmt eure Führungsverantwortung wahr, seid kreativ und nutzt den Handlungsfreiraum». Auch die Voten von Kommandant Zanga und dem Leiter der Regionalpolizei, Valentin Aggeler, zeigten auf, dass den Schichtführenden, Gruppenleiter/-innen sowie den Leitungen der Polizeistationen viel Vertrauen entgegengebracht wird, durchaus gepaart mit entsprechender Verantwortung. Aggeler hob dabei die operative und fachliche Menschenführung besonders hervor.

Eine Strategie wird sichtbar – Machen wir eine Zeitreise zurück in den Sommer 2013: Die Kader der Kantonspolizei St.Gallen tagten im Restaurant Sonne in Vilters-Wangs. Kommandant Zanga, seit 18 Monaten im Amt, präsentierte dem Gremium an diesem Tag ein 18-seitiges Strategiepapier, in welchem er erstmals seine Visionen des Projekts KdZ umschrieb. Schlagworte wie «24-Stunden-Gesellschaft», «Präsenz», «Aufklärungsquote», «Stärkung der Mobilen Polizei» oder «Laufbahnentwicklung» fanden sich in diesem Papier wieder, aber auch das Verhältnis zwischen der Regional- und der Kriminalpolizei wurde durchleuchtet. Der damalige Leiter der Regionalpolizei, Sigi Rüegg, sollte später rückblickend die Aussage tätigen, Kommandant Zanga habe den Bedarf an organisatorischer Entwicklung erkannt und eingeleitet, «so wie ich es in den vergangenen 35 Jahren noch nie erlebt habe». Sein Nachfolger Valentin Aggeler meinte Jahre später, man sei damals im Restaurant Sonne «gehörig wachgerüttelt» worden. Die Weichen waren also gestellt.

«Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.» – Unter diesem Motto und mit Bezug auf das 18-seitige Strategiepapier des Kommandanten fand am 15. November 2013 bei der Regionalpolizei unter der Projektleitung von Sigi Rüegg der Kick-Off statt. Nicht mit dem Ziel Windmühlen zu bauen, sondern um das Projekt «Kantonspolizei der Zukunft» zu realisieren. Alle vier Regionenleiter wurden damit beauftragt, für ihre Regionen Pilotprojekte auszuarbeiten. Bereits im Januar 2014 wurden auf die jeweilige Region zugeschnittene und somit unterschiedliche Pilotprojekte präsentiert.

Zu jener Zeit waren flächendeckend verteilte Geschäftshandys bei der Kantonspolizei St.Gallen noch in weiter Ferne. Tablets oder Convertibles waren bei der polizeilichen Grundversorgung nicht verfügbar, Zugang zum Internet gab es abgesehen von den Unfallwagen lediglich am fixen Arbeitsplatz oder via privates Smartphone. Die regionalen Fahndungs-, Ermittlungs- und Jugenddienste in ihrer heutigen Form existierten noch nicht und bei der Mobilen Polizei arbeiteten etwa halb so viele Polizistinnen und Polizisten wie heutzutage. Was folgte, waren riesige Umstrukturierungen. Am 14. März 2014 wurden in Thal erstmals die Medienschaffenden über die anstehenden Pilotversuche in den Regionen orientiert.

Als Pilotregionen wurden Bodensee-Rheintal, Linthgebiet-Toggenburg und Fürstenland-Neckertal festgelegt. Die Region Werdenberg-Sarganserland führte keinen Pilot durch, unterstützte aber bei Bedarf die übrigen Regionen. Zudem befasste sich die Region Werdenberg-Sarganserland in einer überregionalen Arbeitsgruppe mit dem Dienstchefpikett. Die Zeitdauer der Pilotversuche wurde auf den 1. April bis Ende Oktober 2014 festgelegt. Optional war es möglich, diese anzupassen oder unverzüglich abzubrechen, wenn unüberwindbare Schwierigkeiten aufgetaucht wären. Das Pilotprojekt wurde durch vier Mitarbeiterumfragen begleitet. Die offenen Umfragen richteten sich mit unterschiedlichen Fragestellungen an die Mitarbeitenden der betroffenen Dienststellen und -gruppen. Es wurden aber nicht nur die Mitarbeitenden befragt und miteinbezogen, sondern auch alle anderen Anspruchsgruppen und Partner wie die Staatsanwaltschaften, die Gemeinden und der Verband der Kantonspolizei St.Gallen. Nach der vierten und somit letzten Befragungsrunde konnte im Dezember 2014 eine positive Bilanz gezogen werden. Die durchschnittliche Teilnahmequote in allen Umfragen betrug stolze 74 Prozent.

Die Umfragen bei Staatsanwaltschaften, Gemeinden und beim Verband der Kantonspolizei St.Gallen zeigten ebenfalls ein mehrheitlich positives Bild. Vor allem bei den Staatsanwaltschaften wurden die regionalen Ermittlungs-, Fahndungs- und Jugenddienste begrüsst und deren Fortbestand, beziehungsweise deren baldiger Wiederaufbau ausdrücklich gewünscht.

Das eigentliche Projekt KdZ war damit definitiv lanciert. Die Kantonspolizei St.Gallen hatte erfolgreiche sieben Monate Pilotversuche hinter sich gebracht. Umso mehr erstaunte es nicht, dass viele Mitarbeitende es gar bedauerten, in die alte Dienstform zurückkehren zu müssen. Es war aber völlig klar, dass die Umstrukturierung in allen Regionen nur mit zusätzlichem Personal gestemmt werden konnte.

Die erste wichtige Entscheidung aus dem Projekt KdZ wurde im März 2015 getroffen: Die Umsetzung der erfolgreich entwickelten regionalen Ermittlungs-, Fahndungs- und Jugenddienste (REFJD).  Unter bestmöglicher Berücksichtigung der Vernehmlassungen durch Kriminalpolizei, Personalabteilung, Staatsanwaltschaft und Verband wurde das REFJD-Konzept festgelegt und auf den 1. April 2015 in allen vier Regionen mit diesem Teilprojekt gestartet. Damit wurde ein erster wichtiger Meilenstein im Gesamtprojekt KdZ erreicht: Die REFJD waren nun geschaffen und deren Leitungsstellen bewusst aus der Kriminalpolizei selektioniert worden.

Im selben Jahr wurden fast alle Mitarbeitenden des Korps mit einem iPhone 6 ausgerüstet und die ersten Apps konnten ausgerollt werden. Im Jahr 2016 wurde die Stadtorganisation der Kriminalpolizei reorganisiert und im Folgejahr gelang schliesslich in der Regionalpolizei die erste KdZ-Umsetzung, namentlich in der Region Bodensee-Rheintal. In den Folgejahren wurden schliesslich der Reihe nach die weiteren Regionen im Sinne des Gesamtprojekts umstrukturiert und die Mobile Polizei flächendeckend verstärkt.

Präsenz, Mobilität und Digitalisierung – Der politische Anspruch von mehr Polizeipräsenz und Einsatzbereitschaft am Wochenende und zur Nachtzeit wurde durch das Projekt erfüllt. Die Grundversorgung ist nun mobiler und agiler, die Arbeitsschritte mehrheitlich digitalisiert. Mit Sicherheit ist KdZ ein Erfolgsmodell, welches seine volle Wirkung aber erst in Synergie mit anderen Projekten wie «Kapo goes mobile», «Aufbauorganisation» und «Personalentwicklung» entfalten konnte.

Somit wären wir nun auf unserer Zeitreise wieder im Jahr 2021 angekommen und begeben uns fiktiv nochmals an die Feier nach Mels. Geschäftsleitungsmitglied Valentin Aggeler war es dort ein besonderes Anliegen, den vielen Beteiligten für das Erreichte danke zu sagen. Die Erhöhung des Personalbestands bei den Mobilen um das Doppelte und die damit verbundene Raumnutzung brachten einige Herausforderungen mit sich. Daher galt Aggelers ganz besonderer Dank seinem Fachsekretär Marco Schönenberger als Dreh- und Angelpunkt in Bezug auf die Realisation der entsprechenden Bauprojekte.

Mit der KdZ-Umsetzung in der Region Werdenberg-Sarganserland konnte das letzte Zahnrad möglichst geräuschlos in das mittlerweile gut funktionierende Konstrukt eingefügt werden, wie es Polizeifeldweibel André Eberhard sehr treffend formulierte. Eberhard ist Leiter der Polizeistation Gams und hat das Thema KdZ in seiner Diplomarbeit zur Höheren Fachprüfung Polizist II eingehend analysiert. Er sprach in seiner Arbeit aber auch bevorstehende Herausforderungen an, wie beispielsweise die öffentliche Präsenzwahrnehmung, die Arbeitsbelastung, die Arbeitsqualität oder den Know-how-Aufbau, um nur einige Aspekte zu nennen. Noch immer stehen der Kantonspolizei St.Gallen viele Veränderungen bevor und daran wird sich wohl auch nie etwas ändern. Die Zukunft hat die Kantonspolizei St.Gallen definitiv nicht erreicht, aber die Vergangenheit wurde mit Sicherheit gut gemeistert. Halten wir es wie Maskottchen Kapoli auf dem Bild und rasen mit Vollgas in die Zukunft; gemeinsam und voller gegenseitigem Vertrauen.

Bild: Kapoli, das Maskottchen der Kantonspolizei St.Gallen auf seinem Weg in die Zukunft